Statt verzaubertem Wald und hängendem Gletscher - Regen, Therme, Erdrutsch und Fähren

„Wasser aus Wand“ ist ein geflügeltes Wort bei uns - hier absolut zutreffend.

Puerto Aysén - Puerto Raúl Marín Balmaceda 

Unsere nächste Station soll der verzauberte Wald Bosque Encantado 170 km weiter nordwärts sein. Es schüttet wie aus Kannen - der  R-e-g-e-n-wald und die unzähligen Wasserfälle um uns herum kommen nicht von ungefähr. Auf der Wetterkarte sehen wir wie die Front über den Pazifik heranzieht und sich am Andenkamm aufstaut. Dahinter auf argentinischer Seite ist das Klima trocken, aber rauher - dort, wo wir die letzten Wochen durch karge und stürmische Pampa gefahren sind. 

Auf der chilenischen Seite der Anden aber regnet es nun - heftig, die ganze Nacht und den ganzen Tage mit nur kurzen Unterbrechungen. Kurz vor dem Verzauberten Wald geht die Asphalt-Carretera wieder in Schotterpiste über und macht mit Schlaglöchern, Baustellen, engen Kurven, steilen Passagen und tiefen Pfützen ihrem Ruf alle Ehre. Sie windet sich in engen Tälern durch den Regenwald, es dampft um uns herum, alle 500 m stürzt ein Wasserfall zu Tal. Die sind das eigentliche Schauspiel heute: als dicker Strahl, mal großflächig über die Felsen, im freien Fall, in Kaskaden, über die Kante aus 1000 m Höhe oder wie ein Wasserhahn mitten aus dem dichten Unterholz des Waldes spritzend. Zumindest bei starkem Regen eine abenteuerliche Strecke. 

Die starken und andauernden Regenfälle bringen unsere Pläne etwas durcheinander: der Wanderweg durch den Verzauberten Wald Bosque Encantado ist leider durch eine Geröll-Lawine verschüttet - wir fahren weiter.

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Dieser Wasserfall Cascada del Virgin hat sogar seine eigene Madonna.

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Kilometerlange Baustellen sind normal auf der Carretera Austral  - Schilder werben „Alles für Chile“ !

Um unser nächstes Ziel, den hängenden Gletscher Glaciar Ventisquero Colgante bei optimalem Wetter zu sehen (wer uns kennt weiß, dass wir unsere Reisepläne oft dem Wetter anpassen), legen wir am Puyuhuapi-Fjord einen Regen-Nebel-Ruhe-Tag ein, was nicht viel bringt. Am nächsten Tag hängen die Wolken noch tiefer. Auf den Durchbruch wartend sitzen wir im Auto, schreiben, lesen, bearbeiten Fotos. Immerhin kommen ein paar Delphine vorbei und ein neugieriger junger Kondor lässt sich aus nächster Nähe fotografieren.

 

Dieser junge Kondor hat sich wohl schon an Besuch Parkplatz gewöhnt.

Um 12 Uhr ist unsere Geduld zu Ende - wir fahren ohne den hängenden Gletscher erwandert zu haben weiter und steuern die Ventisquero Thermen an. Als wir bis zum Hals in den kleinen 35-40°C warmen Pools sitzen, erhellen sich unsere Gesichter. Kann es einem besser gehen? Plötzlich ist es witzig, dass die dicken Regentropfen wieder nach oben hüpfen und einem ins Gesicht spritzen. Unmittelbar vor uns ziehen ein paar Delphine ihre Bahn und zum Abkühlen springen wir zu ihnen in den Fjord am Pazifik! 

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Den ursprünglichen Plan wieder zurück zum hängenden Gletscher zu fahren, verwerfen wir. Es sind zwar eigentlich nur 15 km, aber ganz unvermittelt wurden wir bei der Herfahrt auf eine Fähre geleitet. Bei strömenden Regen ging es rückwärts über eine provisorisch eingerichtete Rampe steil bergab Richtung Wasser. Wir waren als erstes Auto (ohne Manövrieren!) an Bord und konnten uns entspannt über das Herum-eiern der anderen amüsieren. Hintergrund war ein Erdrutsch, der mit der kostenlos eingesetzten Fähre „umschifft“ wurde. Unsere erste unvorhergesehene 20-Minuten-Fährfahrt.

Regen - Erdrutsch - Fähre, Alltag auf der Carretera Austral.

 

Mit der Fähre von Puerto Raúl Marín Balmaceda - Chaitén

Erdrutsche und Fähren scheinen in dieser Gegen zum Alltag zu gehören. Wenn man die steilen Hänge 1000 m über uns und den Regen der letzten zwei Tage sieht, keine Wunder. Schon vor Weihnachten hat ein großer Erdrutsch die Carretera Austral vor Chaitén verschüttet. Es gab 14 Tote. Daher müssen wir im Mini-Nest La Junta, 140 km vor Chaitén, die Carretera Austral Richtung Küste verlassen. Jetzt landen wir auf einer anspruchsvollen Piste und alle Sinne sind angespannt. Es kommt uns auf der 65 km langen Strecke auch kein einziges Auto entgegen. Hierher fährt niemand freiwillig. Um uns herum ist nichts als Nebel, Regen und eine grüne Wand. Aus dem Urwald trieft es, überall fließt das Wasser, es ist sumpfig und schlammig.  Dichteren Dschungel haben wir noch nie gesehen. Man kann sich nicht vorstellen, dass hier ein Tier größer als eine Maus durchkommt. Die uns schon länger begleitenden Rhabarberblätter werden größer und größer und erreichen Durchmesser von zwei Metern und mehr. Wo sind wir hier hingeraten?

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Allgegenwärtig „Rhabarber" - in Afrika würde er sicher Elefantenohr“ heißen.

Gegen 18 Uhr landen wir kurz vor der Küste am ziemlich breiten Rio Palena, der selbstverständlich mit einer Fähre zu überqueren ist, die ebenso selbstverständlich um diese Uhrzeit nicht mehr verkehrt. Aber das wussten wir und hatten uns schon auf eine lauschige Nacht am Fähranleger eingerichtet. Dass sie inmitten dieses Urwalds in strömendem Regen so lauschig werden würde …

Am nächsten Morgen  - es sieht inzwischen etwas freundlicher aus - bringt uns eine altertümliche Fähre über den Fluss. Danach führt die Straße nach wenigen Kilometern zu dem kleinen Küstenort Puerto Raúl Marín Balmaceda - 5 bis 7 Häuser, ein „Supermercado“, eine Fährstation. Von dort werden wir mit der Notfall-Fähre, die auch ihre besten Tage hinter sich hat, um den Erdrutsch herum 7 Stunden lang nach Chaitén geschippert - am Ende bei strahlendem Sonnenschein und ruhiger See!



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